Jacob Werther (63 J., Pensionär) schloss hinter sich die schwere Eingangstür seines Landhauses ab. Heute nacht wollte er Lena Wallenstein im Garten des Lutherstiftes treffen.
Jacob Werther nahm seinen Ledermantel vom Haken, streifte ihn über und ergriff seinen Metalldetektor. Er hatte seit einigen Jahren die Schatzsuche zu seinem Hobby gemacht. Sollte er seinen Hund auf seinem nächtlichen Rundgang mitnehmen. Er verwarf diesen Gedanken schnell wieder und raunte Berry, seinem belgischen Schäferhund zu, „Ich komme bald wieder. Pass schön auf.“ Diese Nacht schien günstig. Es war eine Vollmondnacht und trotzdem trieb der Sturm große Wolkentürme vor sich her, so dass der entstehende kurzfristige Schatten nur gut sein würde für Werthers Vorhaben. Die Haustür fiel knarrend ins Schloss. Zweimal schloss er ab und lief den langen Weg bis zur Grundstückgrenze hinunter. Seine alte, zum Wohnhaus umgebaute Scheune lag auf einem kleinen Hügel. Das war ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn ihn aufdringliche Vertreter besuchen wollten. Lange war Johann Werther erfolgreich als Detektiv tätig gewesen. Das war lange her, nun genoss er seinen wohlverdienten Ruhestand. Er hatte alle Verbindungen zu seinen alten Freunden und Kunden, die ihm ans Herz gewachsen waren, abgebrochen, um nun hier in Falkenburg seine Ruhe zu finden.
Heute wollte er sich den großen Park am Lutherstift in Falkenburg vornehmen. Er hatte versucht, eigene Recherchen beim örtlichen Pfarrer anzustellen. Pfarrer Konstantin Berlau konnte oder wollte ihm keine Auskünfte über das Lutherstift geben. Fast schroff hatte er ihn aus der Kirche hinaus komplementiert. Gut, dachte sich Werther, dann versuche ich es auf eigene Faust.
Lena Wallenstein, eine junge, äußerst talentierte Kripobeamtin, die sich in ihrer Freizeit ebenfalls der Schatzsuche verschrieben hatte, wollte ihn in dieser Nacht begleiten. Er sollte sie gegen 23.00 Uhr an der Kirchenglocke des Lutherstiftes treffen. Es war kurz vor elf. Er musste sich beeilen. Er wollte sie nicht warten lassen. Er hatte Lena vor Jahren über ein Schatzsucher Portal im Internet kennen gelernt. Sie war äußerst hübsch und hatte eine sportliche Figur. Fast waren sie sich einmal nach ihrer nächtlichen Tour ein bisschen näher gekommen. Aber er konnte noch rechtzeitig die Notbremse ziehen. Er und eine fast 30 Jahre jüngere Frau. Das konnte nichts werden. Da machte er sich keine Hoffnungen.
Er lief vom nördlichen Teil des Geländes an der alten Bibliothek und dem ehemaligen Bauerngarten vorbei in Richtung Hauptgebäude. Das Knacken vereinzelter Äste und das Rufen eines Käuzchen schien ihm nichts auszumachen. Die Geräusche der Nacht waren ihm wohl vertraut. Was allerdings so gar nicht in diese Nachtstimmung passte, waren die Geräusche, die vom Hauptgebäude zu ihm herüber drangen. Auch meinte er Stimmen zu hören. War Lena nicht allein zum Treffpunkt gekommen. Dabei hatte er sie inständig gebeten, niemals einen Fremden zu ihren nächtlichen Unternehmungen mitzunehmen. Lena anzusprechen war ausgeschlossen, sie hatten es sich angewöhnt, nicht zu sprechen, wenn sie auf nächtlicher Tour waren. Plötzlich flammte eine Taschenlampe kurz auf. War Lena doch schon da. Er hörte, wie die Tür eines Lieferwagens ins Schloss gedrückt wurde. Der Motor wurde gestartet und das Fahrzeug fuhr ohne Licht die Auffahrt hinunter. Werther konnte sich keinen Reim darauf machen. Wo Lena nur blieb. Er sah auf seine Uhr, es war bereits viertel nach elf.
Er ging vorsichtig weiter. Plötzlich prallte er mit seinem linken Schienbein gegen einen Gegenstand in der Dunkelheit und schlug lang hin. Während des Fallens streckte er geistesgegenwärtig sein Arme nach vorne aus, um den Aufschlag zu mindern. Aber er fiel weich. Ihm war sofort klar, es war ein menschlicher Körper oder zumindest ein Teil davon. Er musste sich Gewissheit verschaffen und schaltete seine MacLite ein. Der Strahl seiner Taschenlampe wanderte von links nach rechts und traf den Oberkörper eines Menschen, der bis zur Schulter im Sand vergraben worden war. Die Stelle war noch frisch. Werther kroch näher und leuchtete dem Mann ins Gesicht. Er musste den Kopf anheben, um das Gesicht besser erkennen zu können. Werther erschrak fast zu Tode, das konnte nicht sein….
Dr. Sebastian Pössl (53 J., Gerichtsmediziner, früher Laborleiter der Gefinox Pharma-Coorporation) liebte seinen Beruf als Gerichtsmediziner. Heute war ihm allerdings gar nicht so wohl. Eine Grippe, aber zumindest eine dicke Erkältung schien im Anzug. Er hatte heute Notdienst. Vor etwa fünf Jahren hatte er sich selbständig gemacht mit einem gerichtlichen Institut. Hier im Norden der Republik schienen die Menschen zwar länger zu leben. Er konnte sich aber über rege Aufträge nicht beklagen. Sein mit modernster Technik ausgestatteter Kühlraum hatte 30 Kühlkammern. Das schien ihm bei der Planung seines Instituts ausreichend zu sein. Pössl kam gebürtig aus Garmisch-Partenkirchen, aber das Schicksal hatte ihn in den Norden verschlagen. Unauffällig und von der Öffentlichkeit unbemerkt hatte er einen Teil des (Klosterforstes) nahe Delmenhorst gekauft und langsam angefangen, gerade so viele Bäume fällen lassen, wie zum Bau seines Institutes nötig war. Bei der Besichtigung des Grundstückes war ihm ein ca. 50 m langer und 20 m breiter Bunker aufgefallen, der schräg ins Erdreich versenkt worden war. Nur durch Zufall hatte er die verrostete Stahltür hinter Efeu und morschen Ästen entdeckt. Nachdem er das Gestrüpp beseitigt hatte, konnte er ohne großen Aufwand die Stahltür öffnen. Als er hineingehen wollte, kam ihm ein modriger Geruch entgegen. „Junge, hier muss aber lange gelüftet werden“, dachte er bei sich. Im Lichtkegel seiner Taschenlampe konnte er einen langen Gang entdecken. Er machte ein paar Schritte vorwärts, als sein Handy klingelte. „Pössl“, meldete er sich genervt. „Sie werden erwartet, wir haben einen neuen Auftrag für sie, machen sie sich sofort auf den Weg“, sagte die Stimme, keinen Widerstand duldend. Pössl drehte sich abrupt um, verliess den Gang und schloss die Stahltür wieder. „Ich bin gleich da“. Seine Antwort klang unwillig. Jetzt um diese Zeit, dachte er. Doch seine Auftraggeber duldeten keine Verzögerung. Er musste sich beeilen. Schließlich wurde er auch fürstlich für seine Dienste bezahlt. Es war nicht unbedingt sein Fachgebiet. Aber sein abgeschlossenes Medizinstudium war ihm stets hilfreich gewesen….