Der Flieger

Es schien, als ob der Sturm die Wolken ganz nahe über den Boden trieb. Max von Trebnitz (25 J. Berufspilot) blickte besorgt an den Horizont, während er das schwere Flugzeug langsam mit dem Schleppwagen aus dem Hangar zog. Er hatte heute noch einen besonderen Auftrag.

Bisweilen übernahm er heikle Aufträge. Er hatte schon Ladungen von kleinen spanischen Flugplätze mitten im Niemandsland aufgenommen. Probleme mit Wind und Wetter kannte er nicht. Seine äußerst zuverlässige Britten Norman Islander hatte ihn durch manchen Sturm sicher ans Ziel gebracht.

Trotzdem war er auch vor diesem Flug angespannt. Wieder sollte es nach Spanien gehen. Kurz hinter der spanische Grenze sollte er einen kleinen Feldflugplatz ansteuern, der weder eine Landebefeuerung noch einen Tower hatte. Aber der Job wurde gut bezahlt. Und Max hatte schon den Kaufvertrag für sein Haus am Comer See unterschrieben.

Er hatte einmal eine Schweizer Kollegin besucht und sich in dieses Haus verliebt, als sie beide am See spazieren gingen. Aus der Beziehung zu seiner Kollegin wurde nichts, aber das Haus ging ihm nie mehr aus dem Kopf.

Der Anruf hatte ihn gegen 21.30 Uhr erreicht. Kurze, knappe Anweisungen, wie immer. Im gebrochenem Deutsch hatte der Anrufer ihm den Auftrag erklärt. „Du fliegst gleich los. Direkt nach Igualada nahe Odena. Die Kennung ist LEIG für dein GPS. 10 Meilen vorher bekommst du auf der Frequenz 123.450 neue Instruktionen. Ab da schaltest Du den Transponder aus und du fliegst in 1.500 ft über Grund. Wir verlassen uns auf dich.“ Die Stimme hatte zum Schluss einen groben Ton angenommen. Sie bezahlten gut für diese Flüge, aber Max durfte sich keinen Fehler erlauben.

Der Sturm hatte leicht nachgelassen, aber es war ein kurzes Einschlafen. Max ging noch einmal in sein kleines Büro und checkte das Wetter. Das Schlimmste war eigentlich nur über Norddeutschland zu erwarten. Sobald er den französichen Luftraum erreicht hatte, würde das Wetter deutlich besser werde. Lediglich einige Cumulonimbus Wolken müsste er umfliegen. Die „Koffer“, wie sie in der Fliegersprache genannt wurden, standen kurz vor den Pyrinäen. Da würde er schon ziemlich hoch steigen müssen, um sie einigermaßen gefahrlos umgehen zu können. Aber dort war er noch lange nicht. Bei dem Gegenwind, der ihn erwartete, würde er Probleme haben, pünktlich in Igualada zu landen. Erfahrungsgemäß veränderte sich die Wolkenlandschaft und das Wetter schneller als man gucken konnte. Um das aktuelle Wetter machte sich Max die geringsten Gedanken. Aufträge dieser Art ließen immer das Gefühl von zu wenig Zeit aufkommen. Aber er war jung und irgendwie liebte er auch die Gefahr. Langeweile war ihm zuwider. Er hätte niemals Lust dazu, wie viele seiner Berufskollegen Linie zu fliegen oder gar an der Küste bei den Inselfliegern sein Dasein zu fristen.

Das Wetter war noch schlechter als es vorausgesagt worden war. Max von Trebnitz hatte zur Sicherheit noch mal alle Wetterkanäle gecheckt. Überall dasselbe. Eine Front nach der nächsten peitschte Sturmwolken über das Land. Das einzige Tröstliche war, das der Wind aus West kam.

Max checkte die betagte BN 2B. Trotz ihres Alters von 35 Jahren, vertraute er der Maschine. Nie hatte sie ihn im Stich gelassen. Nachem er den „Walkaround“ absolviert hatte, nahm er auf dem Pilotensitz Platz. Er betätigte die Batterieschalter. „Kraftstoffmenge ok“, „Main Avionik switch off“, Max ging die Checkliste durch. Nachdem er genügend Kraftstoff eingespritzt hatte, drückte der den Starter. Nach zwei Umdrehungen sprang der rechte Motor an. Nach derselben Prozedur sprang auch der linke Motor sofort an. Er synchronisierte den Ladedruck beider Motoren, magerte den Kraftstofffluss ab und rollte in Startposition. Bevor er die Motoren gecheckt hatte, programmierte er noch gewissenhaft die Navigationsgeräte. Bis in den französichen Luftraum wollte er exakt nach Flugplan fliegen. Sobald es hell war, würde er nach Sicht weiter fliegen und den Flugplan canceln. Das letzte Stück nach Spanien konnte er es wagen, ohne Transponder knapp unterhalb des Primärradars den Weg fortzusetzen. Je weiter er nach Süden kam, desto unkonzentrierter und lascher waren die Fluglotsen. Das würde er ausnutzen.

Max wartete eine kräftige Böe ab und nachdem der Wind kurzfristig nachliess, schob er beide Schubhebel gefühlvoll nach vorn. Als beide Motoren nahezu synchron liefen, lockerte er den Druck auf die Bremspedale und die BN setzte sich in Bewegung. Gespenstisch erhellte der Landescheinwerfer die immer schneller unter ihm durch rasende Pistenmarkierung. Kurz vor der Halbbahnmarkierung war die VR erreicht und Max entlastete das Bugrad. Sekunden später hob das Hauptfahrwerk vom Boden ab und die schwere BN ging in einen gleichmäßigen Steigflug über. Gekonnt glich Max einige Böen aus, die das Flugzeug durcheinander schüttelten und gewann weiter an Höhe. Gleich hatte er die Minimum Radar Vektoren Höhe erreicht und er konnte sich mit dem Fluglotsen in Verbindung setzen. Nach kurzem Kontakt wurde ihm die nächste Höhe und die neue Frequenz durchgegeben. Er setzte den angegebenen Transpondercode und folgte der auf dem GPS angegebenen Flugroute. Er durfte nun bis zum FL 100 durchsteigen. Er schaltete den Autopiloten ein und ging noch einmal entspannt den Flugplan durch. Je höher er stieg, desto weniger hatten die Böen Einfluss auf das Flugzeug. Nachdem er den FL 100 erreicht hatte, meldete er sich kurz beim Fluglotsen und konfigurierte das Flugzeug für den Reiseflug. Jetzt begann der schwierige Teil des Fluges, nämlich nicht einzuschlafen. Max goss sich einen starken Kaffee in seinen Thermobecher ein und nahm einen kräftigen Schluck. Verpflegung hatte er genug eingepackt. Er hatte eine Flugzeit von fast 4 Stunden eingeplant. Treibstoff hatte er für 8 Stunden an Bord. Das müsste reichen. Max fühlte sich trotz des schlechten Wetters sicher in seiner BN. Links vor ihm stand eine nach Osten abziehende Gewitterfront. Ab und zu zuckte ein greller Blitz in den Cumuluswolken und erhellte die milchig wirkenden Wolkentürme von innen. Als ob man kurz eine Lampe ein und aus schaltete. Max dachte an die vielen Gewitter, die er schon erlebt und überlebt hatte. Er war kein Hazadeur, aber manchmal blieb ihm nichts anderes übrig, als so nahe wie möglich an die Gewitterzellen heranzufliegen, um nicht zu viel Zeit zu verlieren.

Max überflog mit seinen Augen die Rundinstrumente der Motorenüberwachung. Oeltemperatur und Druck waren im auf sein Kniebrett und blätterte in seinen Aufzeichnungen. Er sollte mal auf einen anderen Tank umschalten, dachte Max. Er schaute auf die kleinen Rundinstrumente,bei diesem langen Flug musste er akribisch Buch führen über den Kraftstoffverbrauch, dachte er. Grobe Schätzungen würden ihm da nicht helfen. Nachdem er alles noch einmal durchgerechnet hatte, war er beruhigt. Er hatte auf Grund des leichten Rückenwindes sogar Kraftstoff eingespart. „Gut so“, sagte er sich.

Plötzlich meldete sich Maastrich Control. Der Fluglotse gab ihm die nächste Funkfrequenz und verabschiedete sich. Max meldete sich auf der neuen Frequenz mit Rufzeichen, Höhe und Kurs. Er bekam einen neuen Transponder Code und damit war das Gespräch beendet. Wieder allein, dachte er bei sich.

Max von Trebnitz sass am Kaminfeuer. Er konnte es noch immer nicht glauben, er besass ein neues Flugzeug. Die Geschichte war so abenteuerlich, dass es am selben Tag seinem alten Freund Todd Franklin erzählen musste. Fünfmal liess es Todd klingeln, bis er sich endlich mit einem „Hello, old fellow“ meldete. „Alter“, entgegnete Max noch sichtlich aufgeregt, „Du musst rüberkommen, die Geschichte kann ich Dir nicht am Telefon erzählen“. „Okay, I’ll be there in 5 minutes“.  Gelegentlich hatte Todd keine Lust sich auf Deutsch auszudrücken, obwohl er mittlerweile akzentfrei sprach und nur bei ganz genauem Hinhören noch als Amerikaner zu erkennen war. Todd schwang sich in seinen alten Land Rover Defender und ließ in den langen Schotterweg entlang rumpeln. Max und er wohnten nebeneinander und doch trennten die beiden Häuser die ca. 1000 m lange Piste des kleinen Privatflugplatzes. Es hatte kräftig zu stürmen angefangen, die Äste der alten Sumpfweiden neigten sich kräftig zu Boden und der Regen peitschte über das Land. Das war nun wirklich kein Wetter für Todd, den alten Texaner. An solchen Tagen sehnte er sich nach seiner alten Farm in Texas zurüük, wo er bei bestem Wetter seine Weiden mit dem betagten Hughes 200 abflog. Er hing noch seinen Gedanken nach, als er voll in die Bremsen trat. Mit einer deutlichen Bremsspur auf dem Schotter blieb der Rover stehen und er hastete zur Eingangstür. „Go on, hurry up“, dachte er bei sich und die nächste Sturmböe bliess ihm Regen in den Nacken. „Ist offen“, brüllte Max von drinnen. Todd trat ein, schüttelte seine Jacke aus und warf sie auf den Ohrensessel, der neben der Eingangstür stand. Er schmiss seine Lederstiefel in die Ecke und trat auf Socken in das Wohnzimmer ein. „Setz Dich und nimm Dir ein Glas. Echter selbst gebrandter Wodka“. Max zeigte auf den kleinen marokkanische Tisch neben dem Kamin. „Wie, mein Lieber, keinen Kentucky Bourbon?“ „Das hat mit meinem neuen Job zu tun und mit der Geschichte, die ich Dir jetzt erzählen muss.“ „Okay, schiess los, ich bin ganz Ohr“, entgegnete Todd.

„Du kannst Dich an den Job vor einer Woche erinnern?“, Max blinzelte zu Todd herüber. „Na klar, mein Lieber“, entgegnete Todd. „Also, ich bin auf dem Rückflug von Spanien.“

Max klopfte mit dem Fingerknöchel gegen die Scheibe seiner Tankanzeige. „Hängt der Zeiger oder hat der Schwimmer eine Störung“, dachte er bei sich. Nach seinen Berechnungen über den Kraftstoffverbrauch müsste er noch genügend Kraftstoff an Bord haben. „Ich geh auf Nummer sicher“, murmelte er vor sich hin. Max rief über Funk den Controller und teilte ihm seine Absichten mit. Dann ging in den Sinkflug über, nachdem er seinen Flugplan in Flight Level 90 gecancelt hatte. Die Sicht war ausgezeichnet, mindestens 50 Km. Geringe Wolken in geschätzten 7000 Fuss, also kein Grund zur Sorge. Max gab die ICAO Kennung EDDR in sein GPS Gerät ein und las den Kurs nach Saarbrücken ab. Dort wollte er nachtanken. Ausserdem gab es dort ein sehr gutes Flughafen-Restaurant. Er gab die Funkfrequenz von Saarbrücken Turm in das zweite Funkgerät ein und kontrollierte den Höhenmesser. 4500 Fuss lass er ab. „In dieser Höhe bleib ich erstmal eine Weile und dann in den Anflug auf Saarbrücken.“

Der Anflug auf die 27L in Saarbrücken verlief wie geplant und 5 Minuten später setzte er seine BN sanft auf die Piste. Nach kurzem Ausrollen auf der 2000 m langen Landebahn bog er auf dem nächsten Rollweg ab, folgte in kleinem Abstand dem Follow me Fahrzeug und rollte zum Abstellplatz. Der Mann gab ihm noch ein kurzes Zeichen, Max erwiderte mit Daumen hoch und stellte die Motoren, nachdem er die Funkgeräte ausgeschaltet hatte, ab. Der Mann aus dem Follow me Wagen wartete auf ihn, denn niemand durfte zu Fuss über das Vorfeld laufen. Max kletterte in den gelben VW Bus und liess sich zum Gebäude fahren. Nachdem er die Landegebühr bezahlt hatte, machte er sich auf den Weg zum Restaurant. Max hatte sich gerade einen gemütlichen Tisch Platz genommen, als sein Mobil Telefon klingelte. Max schaute auf das Display. „Nummer unterdrückt“, war auf der Anzeige zu sehen. Max meldete sich mit „Ja“.

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